„Wir schaffen Erlebnisräume“

Der menschliche Faktor (4): Argon-Vertriebsleiterin Franziska Wesener über die Revolution auf dem Hörbuchmarkt – und die Herausforderung, ein überwiegend digitales Programm auf einer physischen Buchmesse effektvoll zu inszenieren

2019, vor der Corona-Pandemie, haben wir laut Media Control noch einen physischen Anteil von 40 Prozent im deutschen Hörbuchmarkt. Seinem hat sich dort – die Stichworte sind Digitalisierung, Diversifizierung, Verjüngung – geradezu ein Erdrutsch ereignet. Wie geht ein Verlag wie Argon damit um?

Franziska Wesener: Vielleicht ist unser Vorteil, dass das Hörbuch schon immer eine Warengruppe gewesen ist, die ganz besonders um Aufmerksamkeit buhlen musste. Insofern war es schon immer unsere Mission, potenzielle Kundinnen und Kunden von uns und unserem Medium zu überzeugen. Dazu kommt: Wir haben uns frühzeitig mit unserer Digital-Strategie beschäftigt. So sind wir zum Beispiel früh ins Streaming-Geschäft eingestiegen. Wir haben uns immer auf die Fahne geschrieben, jede Vermarktungsmöglichkeit genau anzuschauen. Nicht als Schreckensgespenst – sondern als Chance, Leute noch einmal anders zu erreichen. Wir haben uns beispielsweise angeschaut, welche Abspiel-Devices es gibt – und dabei festgestellt, dass die Auto-Industrie keine CD-Player als Standard-Ausstattung mehr verbaute. In den Technik-Märkten sind die Regale mit den CD-Abspielgeräten immer kleiner geworden… Uns war klar, dass der Markt nicht auf uns wartet – und so haben wir uns z. B. stark am Musikmarkt orientiert, wo die Digitalisierung noch viel früher und radikaler vorangeschritten war. Ehrlicher Weise haben wir den Erdrutsch, von dem Sie sprechen, noch viel früher erwartet. 2019 waren die Anteile der digitalen und der physischen Vermarktung noch fast hälftig – heute sind die physischen Verkaufsanteile im einstelligen Prozentbereich. 

Welche Auswirkungen hatte die Zeit der Corona-Pandemie?

Wesener: Es gab da eine deutliche Verlagerung in Richtung Digital-Unterhaltung. Auch der klassische Buchhandel hat die Chance erkannt, und sich mit digitalen Hörbüchern beschäftigt. Unsere Abos sind damals stark nach oben gegangen. Letztlich waren wir nicht mehr auf die Impulskäufer angewiesen – Kundinnen und Kunden haben Hörbücher noch mal ganz neu für sich entdeckt. Durch die Digitalisierung haben wir wieder neue Märkte, neue Zielgruppen erschließen können. Und ich erinnere mich, dass wir uns in den 2010-er Jahren vom physischen Jugend-Hörbuch verabschiedet haben. Die Jugendlichen sind weder ins Erwachsenen-Sortiment gegangen, noch ins Kinderbuch, wo unser Hörbuch auch ausgestellt wurde. Mit dem Romance-Trend, der sich vor einigen Jahren voll gezeigt hat, und durch unsere digitalen Märkte – von Spotify bis Bookbeat – konnten wir diese Warengruppe wieder für uns erobern. Heute gehen wir wieder in Stoffe, deren Hörerschaft wir schon verloren geglaubt haben

Das Hören ist digital und extrem vielfältig und fluide geworden – während Messen stark vom physischen Überrumpelungseffekt leben: Events und Inszenierungen begeistern die Massen. Was bedeutet der physische Messe-Auftritt für einen Verlag wie Argon? 

Wesener: Natürlich stellen wir uns diese Frage selbst auch immer wieder aufs Neue. Wobei sich natürlich auch das, was man von einer Messe erwartet, verändert hat. Als ich bei Argon angefangen habe, hat man Aufträge geschrieben, wir haben unsere Kunden getroffen, das Programm vorgestellt. So hat man hat ein Gespür dafür bekommen, welche Titel relevant sein könnten. Inzwischen ist die Messe für uns eine Form der Inszenierung. Man sieht es schon daran, wie sich im Lauf der letzten Jahre unser Messe-Auftritt verändert hat. 

Können Sie diese Veränderung beschreiben?

Wesener: Im Grunde hat sich da eine Art Metamorphose ereignet. Wir haben dem immer kleiner werdenden physischen Geschäft anfangs noch sehr viel Raum gegeben: Wir haben unsere CDs ausgestellt, die natürlich auch immer noch gekauft werden. Mittlerweile ist dieser Bereich deutlich kleiner geworden; ein Großteil unseres Programms wird nur noch für die Hörbuchplattformen produziert. Aufgrund der Marktveränderung haben wir auch unser Programm-Volumen angepasst. Wir machen zwar mehr Titel als noch vor zehn Jahren – aber deutlich weniger physisch als digital. 

In der Präsentation ist das die Quadratur des Kreises? 

Wesener: Zuletzt haben wir uns, wenn Sie so wollen, eher mit einem Wohnzimmer präsentiert. Es gibt seit mehreren Jahren Hörsessel, auf die wir unsere Messe-Besucher einladen. Man kann als gestresster Besucher zum einen kurz die Füße ausruhen – hat aber zugleich die Möglichkeit, bis zu 50 Hör-Promos unterschiedlicher Genres per Touch-Screen anzuwählen. Die Gemeinschaftspräsentationen der Hörbuchverlage, an denen wir mit einem eigenen Systemstand vertreten sind, werden tendenziell größer – aber wir stellen immer weniger physisch aus. Wir arbeiten mit Flatscreens, die auf Titel aufmerksam machen. Und wir schaffen – was man auch von großen Buchhandlungen kennt – Erlebnisräume für Inszenierungen, in denen die Besucher etwa Fotos machen, mit Sprecherinnen und Sprechern interagieren können. Dazu versuchen wir, mit Veranstaltungen auf unsere Produktionen aufmerksam zu machen. Was wir in Richtung Messe signalisiert haben: Bei der Platzierung unseres Mediums im Gesamt-Messe-Layout gibt es noch Luft nach oben.  

Was heißt das? 

Wesener: Wir waren bislang in Frankfurt (Halle 3.1) eher im Randbereich vertreten. Bei der neu konzeptionierten Audiowelt der Leipziger Buchmesse, die im März Premiere hatte, liegen zwischen uns und den Belletristik-Verlagen Schulbuchverlage und Tourismus-Angebote, die sich ja tendenziell an eine andere Klientel wenden. Das Messe-Team in Leipzig hat uns aber signalisiert, dass es da wohl noch einmal Bewegung gibt. Näher bei Buchverlagen und Unterhaltung würden wir uns schon wohler fühlen. 

Wie sind sie generell mit dem Messeauftritt der Hörverlage zufrieden? 

Wesener: Wir bespielen die Messe-Veranstaltungen noch gar nicht so lange mit unseren Programm-Inhalten – und tragen damit, neben den Buchverlagen, mittlerweile auch zum Gesamtkunstwerk Messe bei. In Leipzig machen wir seit diesem Jahr Veranstaltungen auf dem Messegelände; zuvor haben wir immer mal wieder einzelne Events in Kooperation mit Buchverlagen bei „Leipzig liest“ angeboten. Inzwischen konzentrieren wir unsere Kräfte aufs Messegelände und die Audiowelt.

Wie organisieren Sie Ihren Lauschangriff aufs Publikum?

Wesener: Wir binden Autorinnen und Autoren der Buch-Vorlagen ein – aber natürlich auch unsere Sprecherinnen und Sprecher, unser ureigenes Pfund. Gerade, wenn wir ausländische Autoren zu uns holen, haben die „deutschen Stimmen“ einen hohen Identifikations-Faktor: Wer sich etwa in dem neuen Thriller von Simon Beckett verlieren will, tut das eben mit dem genialen Johannes Steck. Das spielt sich dann vielleicht auch mal auf kompakterem Raum ab als auf den großen Bühnen der öffentlich-rechtlichen Sender – aber uns gelingen auf diese Weise regelmäßig tolle Events: Wenn eine Sarah Kuttner das eigene Hörbuch vorstellt, ist das ein Publikums-Magnet! Und das Schöne: Die Messe-Besucher finden zu uns! Es spricht sich herum: Wir sind nicht nur die, die Vorlagen vertonen – wir zeigen auf den Messen selbstbewusst, was das Medium alles kann!  

Sie denken gemeinsam mit den lizenzgebenden Buchverlagen über Inszenierungen nach….

Wesener: Es beginnt schon mit den richtigen, weil spannenden Konstellationen. Wir setzen unsere Sprecherinnen und Sprecher ja nicht nur auf die Bühne – es gibt begleitende Interviews, nach den Lesungen auch Raum für Publikumsfragen. Dazu organisieren wir, wie bei den klassischen Verlagen, auch Signier- und Foto-Aktionen, Gewinnspiele und Mitmach-Aktionen. Und natürlich verteilen wir auch Goodie-Bags an Bloggerinnen und Blogger, die uns auf der Messe reichlich besuchen – das sind wichtige Multiplikatoren für unser Anliegen. Leipzig ist für mich ein Fest der Sinne – besonders freut mich, dass wir da so viele junge Leute aus ganz unterschiedlichen Kosmen abholen. Ich bin ja über weite Strecken meines Jobs Schreibtisch-Täterin – in gewisser Weise gibt mir die Messe Hoffnung: Ich treffe auf begeisterte Leute, die zum Teil von weither anreisen und sich intensiv mit den Inhalten beschäftigen. Die sich inmitten der ganzen Wuseligkeit ganz ins Gehörte vertiefen. Was gibt es schöneres?

In Anlehnung an die Hörduschen: eine Art Motivationsdusche? 

Wesener: Es ist sinnstiftend! Plötzlich reden Sie nicht mehr nur von Zielgruppen – sondern haben die Hörerinnen und Hörer zum Anfassen. 

 *

 Gekommen, um zu bleiben: Vertriebsleiterin Franziska Wesener ist im 18. Berufsjahr bei Argon, eine Zeitspanne, in der sowohl der Hörbuchmarkt wie auch ‚ihr’ Verlag eine ganze Reihe von Metamorphosen durchgemacht haben. Wesener hat in beiden deutschen Buchstädten gelebt: Nach dem Abitur absolvierte sie eine Ausbildung zur Buchhändlerin in Frankfurt/Main und begann ein Betriebswirtschaftsstudium an der Humboldt-Universität zu Berlin, wechselte dann jedoch nach an die Leipziger Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur (HTWK), um Buchhandel/Verlagswirtschaft zu studieren. Der Argon Verlag, den sie als „eine große Familie“ beschreibt, war ihre erste Station nach dem Studium.

Der Argon Verlag wurde 1952 als Tochter des Berliner „Tagesspiegels“ gegründet. 1995 wurde er zusammen mit der Nicolaischen Verlagsbuchhandlung von der Verlagsgruppe Georg von Holtzbrinck übernommen. Unter dem Dach von S. Fischer gab Argon ab 1998 den Berlin-Bezug auf und verlegte unter anderem Bestseller wie „Generation Golf“ von Florian Illies. Zum 1. Januar 2005 wurde aus dem Argon Verlag ein reiner Hörbuchverlag. Der von Heike Schmidtke und Frederik Wehmeier geleitete Verlag beschäftigt rund 40 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Mit seinem Programm deckt Argon Hörbuch die ganze Breite des Genres ab, von literarischen Produktionen über Unterhaltung, Serien, Sachbücher und Ratgeber bis zu einem ausgesuchten Titeln für jüngere Hörerinnen und Hörer.

 

Umschlagplatz für Inspiration: Die Buchmesse ist Lesefest und Branchentreff, ein Ereignis, das unsere Aufmerksamkeit für das Buch, auf Literatur, auf Autorinnen und Autoren fokussiert und eine demokratische Öffentlichkeit schafft. In unserer Serie „Der menschliche Faktor“ fragen wir Buchmenschen aus allen Bereichen der Branche nach ihren prägenden Leipzig-Erlebnissen – und was die Buchmesse auch in den Hochzeiten der digitalen Transformation für sie unverzichtbar macht.  

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