Wutrede

Nordlicher (5): In einer kleinen Serie stellen wir kreative Köpfe aus Norwegen, Gastland der Leipziger Buchmesse, vor. Heute: Kathrine Nedrejord, die über Kultur, Sprache und Identität der Sami erzählt

Ortswechsel. Bergen, die regenreichste Stadt Europas, empfängt uns bei strahlender Sonne und postkartenblauem Himmel. Schon beim Empfang in der mittelalterlichen Håkonshalle, einem Teil der Burg, zeigt sich, dass das LitFest Bergen auch in seiner siebten Ausgabe weder Wohlfühl-Festival noch Promi-Auftrieb sein will. Divers und international will man sein, mit Autorinnen und Autoren aus 23 Ländern, einer palästinensischen Party mit Live-Zuschaltung aus Gaza oder Panels zu queeren Archiven und dissidentischer Literatur. Als Motto hat Festival-Direktorin Teresa Grøtan „Wahrheit“ gewählt – naiv in Zeiten, wo ganz offensichtliches Lügen so etwas wie der neue Sport auf internationaler Bühne geworden ist? „Wir suchen die Wahrheit eher in der Poesie als im Dauerbeschuss der Propaganda.“

 

Kathrine Nedrejord (Mitte) bei einer Diskussionsrunde im Literaturhaus Bergen (c) nk

Das Herz des Festivals schlägt im Literaturhaus, nur einen Steinwurf entfernt vom Fischmarkt und den engen Gassen des Altstadtviertels Bryggen. Am Nationalfeiertag der Samen spricht Grøtan im vollbesetzten Saal mit den Autorinnen Marjam Idriss und Kathrine Nedrejord über „Geister in der norwegischen Kolonialgeschichte“. Die norwegisch-samische Kathrine Nedrejord, Jahrgang 1987, wurde mir schon von Ingeborg Volan ans Herz gelegt – als ein Beispiel für jene neuen, spannenden norwegischen Stimmen, die es in Leipzig zu entdecken gilt. Mit ihrem vielbeachteten Roman Sameproblemet („Das Sami-Problem“) ist der mittlerweile in Paris lebenden Nedrejord eine kraftvolle Erzählung über Kultur, Sprache und Identität der Sami gelungen – und eine ebenso wütende wie klare Abrechnung mit Unterdrückung, Diskriminierung und Bigotterie gegenüber einem der größten indigenen Völker Europas. „Manche Passagen haben Kritiker als ‚essayistisch’ bezeichnet“, sagt Kathrine Nedrejord. „Ich würde sie eher politische Wutrede nennen. Die Erzählerin ist mitunter ziemlich angefasst von den Ungerechtigkeiten, die ihr und den Generationen vor ihr durch den norwegischen Staat wiederfahren sind.“ Einige Passagen des Buches sind denn auch in Großbuchstaben gedruckt. „In Norwegen“, lacht Nedrejord, „soll man eigentlich nicht wütend sein. Aber, OK… ich lebe in Frankreich!“ 

Empfang des LitFest Bergen in der mittelalterlichen Håkonshalle (c) nk

Was, wann, wo?

Vorhang auf! Neue Theaterstücke aus Norwegen. Mit Kathrine Nedrejord, Fredrik Brattberg und Eivind Haugland. Mittwoch, 26. März, 19 Uhr, Grieg-Begegnungsstätte Leipzig 

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